Genossen, tanzt Sirtaki! oder: Wieviel Spaß es macht, wenn man Alltagsrassismus nicht einfach so stehen lässt

Ein Verlag mit griechischem Namen, ein Gründer mit griechischen Wurzeln und Geschichten und Inhalte, die um urbane Themen kreisen, um Emotionen, Trends und Energien, die aus dem urbanen Leben entstehen – und das ist der Blog dazu.

Unbedingt muss hier berichtet werden über dieses kleine, große, denkwürdige Ereignis, das da am vergangenen Donnerstag an der Isar stattfand.

Ja, genau, wir sprechen nicht über Köln oder Frankfurt, Hamburg oder Berlin. Es geht um München, aber nicht um die oft unterstellte und immer wieder erlebte glattgebügelte BMW-Idylle bajuvarischer Traditionsträgheit.

Kurz vor 19.00 Uhr scheint die allerdings noch vorzuherrschen, dort auf dem Odeonsplatz, vor der flirrenden, bei 35 Grad aufgeheizten Feldherrnhalle. Von der Briennerstraße schieben sich gestresste Feierabend-Rushhour-Teilnehmer in ihren Glitzerautos in die Leopoldstraße und umgekehrt. Vom Shopping und Sightseeing geschwächte und nicht mehr ganz so motiviert schlendernde Passanten schleppen ihre Tüten zur U-Bahn oder überlegen, wo sich denn angemessen dinieren ließe.

sirtaki flashmob 1               sirtaki flashmob 2

Neben dem übermächtigen Baugerüst der Theatinerkirche bleiben im Schatten ein paar Leute stehen. Und noch ein paar kommen dazu. Von der U-Bahn Rolltreppe marschieren sehr zielstrebig eine junge Frau, zwei Herren und eine Familie mit Kinderwagen in ihre Richtung. Zwei Freundinnen parken ihre Räder bei den unzähligen anderen und gesellen sich dazu. Eine Gruppe mit Instrumentenkoffern, die nach Tuba, Gitarre, Oud oder Bouzouki aussehen, kommt, stellt die Koffer ab und packt aus. Die Oud ist tatsächlich eine Bouzouki, eine kleine Baglamas kommt zum Vorschein und so manch anderes, was ich als Ahnungslose in Sachen Folklore-Instrumente nicht benennen kann.

Und noch mehr Leute kommen und formieren sich um die Musiker, die vor der San Francisco Coffee Company Stellung bezogen haben, bereit, zu spielen. Auf einmal ist der Platz ziemlich voll, zuerst lose noch, dann drängen sich alle immer mehr um die Band und bilden einen Pulk um den Coffee Shop, 200 Leute oder mehr.

Die Kirchturmuhr schlägt 7, ein Mann mit buntem Hut greift zum Mikrofon und bedankt sich bei allen, die gekommen sind. Er erzählt eine Anekdote, die einige bereits auf Facebook gelesen und geteilt haben, andere gerade zufällig zum ersten Mal hören, genervt, neugierig, schockiert, spöttisch. Wo vor nicht nicht einmal einem Jahrhundert Aufmärsche und Hetzreden gegen alles Fremde stattfanden, berichtet er von einem groben, diskriminierenden Übergriff, einer rassistischen Beleidigung, die zwei junge Türkinnen anfang der Woche in eben dieser San Francisco Coffee Company widerfahren ist. Da hatte sich der Frust eines Fremden entladen, hinterhältig und aggressiv. Als er erfährt, dass das, was er eben als „Scheiß-Griechisch“ verbieten wollte, eigentlich türkisch ist, gerät er immer mehr in Rage. „Noch schlimmer, ihr Bosporuspussies.“ Und das Allerschlimmste: Niemand hat geholfen, unterstützt, seine Solidarität gezeigt, nicht einmal das Cafépersonal. 

Aber die beiden Türkinnen, so gelähmt und schockiert sie im ersten Moment waren, am Ende lassen sie sich von der Beleidigung inspirieren: „Wir sollen aufhören mit dem Scheiß-Griechisch? Dann tanzen wir eben Sirtaki.“ Die beiden, eine Sängerin und eine Tänzerin, aktivieren ihr großes, buntes Netzwerk aktiver und kreativer Menschen in München, und gemeinsam trommeln sie möglichst viele zusammen, um lauthals und sichtbar zu verkünden, dass Alltagsrassismus viel zu oft zum Vorschein kommt und widerstandslos geduldet wird, offiziell und inoffiziell, dass so etwas nicht akzeptiert werden darf.

Was dabei herauskam? Der Sirtaki-Flashmob. Die Musik beginnt, alle singen, ein griechisches Volkslied, dann ein türkisches. Die beiden Mädels tanzen, immer mehr Leute tanzen. Noch ein türkisches Stück, noch ein griechisches. Und dann verschränkt sich eine Menschenkette zum Sirtaki, sie wird länger, irgendwann sind es zwei Kreise, die sich drehen.

Alle schwitzen, der Sirtaki wird schneller und schneller. Die, die nicht tanzen, klatschen im Rhythmus. Auf einmal wird es langsamer und noch langsamer und der Sirtaki ist zu Ende. Eine Viertelstunde ist vergangen, vielleicht weniger. Ein Dank durchs Mikro, ein Abschied, Applaus. Die Menge verläuft sich. Der Eindruck und die positive Wucht des Moments bleibt.

sirtaki flashmob 3                  sirtaki flashmob 4

Der harte Kern steht noch um die einpackenden Musiker herum. Man freut sich, trifft sich wieder, lernt sich kennen und verabredet sich für den Biergarten.

Im Hof der Glockenbachwerkstatt sitzen dann Türken, Griechen, Münchner, Zuagroaste an einem großen Tisch und lassen den Flashmob bei einem Augustiner und vor einem Mezze-Teller weiter wirken. Es dauert nicht lange, bis die Instrumente wieder zum Vorschein kommen. Drei Griechen singen. Und die türkischstämmigen am Tisch stellen bald fest, dass sie genau dieses Lied gut kennen, nur eben auf Türkisch. Immer mehr Melodien finden sich, die beiden Nationalitäten gleichermaßen vertraut sind.

Ab und zu fallen im fröhlichen Geplauder über den erfolgreichen Flashmob und weitere Pläne ein paar Sätze zu sich zuspitzenden Verhältnissen, zu Verwandten in Griechenland, die ihre Betriebe, ihre Arbeitsplätze, ihre Ersparnisse verlieren und Einbrüche und Gewalt fürchten, zu fremdenfeindlichen Erfahrungen in Deutschland, die sich aktuell wieder beängstigend häufen.

Aber an diesem Donnerstagabend haben ein paar Leute in München klargemacht, dass es auch anders geht, als hilflos zuzusehen und zu erdulden, dass man Angriffe und Gefahren als Anlass nehmen kann für etwas Neues und Kraftvolles, das Spaß bringt, Menschen vereint und vielleicht Wellen schlägt. Aus einer anonymen Menschenmenge wurden Gleichgesinnte, die gemeinsam einen Moment voll positiver Energie erzeugt haben und für Vielfalt eingetreten sind.

Diese historische Kluft zwischen Türken und Griechen, jetzt Griechen und Deutschen, die aktuelle Negativpresse  – all das existiert in diesem Moment endlich nicht mehr.

Den Anstoß dazu hat jemand unfreiwillig gegeben, der angreifen, verletzen, degradieren wollte. Am Ende wird daraus noch mehr als „nur“ eine lustige Aktion gegen Alltagsrassismus.

Die Musiker spielen weiter, eine griechische Bauchtanzmelodie. Ein magischer Abend in München. Wir brauchen mehr davon!

Jacqueline ist seit Mai 2015 Genossin bei Astikos. An der Urbanität faszinieren sie besonders  explosive Momente und Begegnungen, die neue Dinge ins Rollen bringen und Denkmuster durcheinanderwirbeln. Sie liebt Bauchtanz und jetzt auch Sirtaki – und wollte völlig vorurteilsfrei, dass Jannis ihr Baglamas-Spielen beibringt. Aber leider scheint das auch Griechen nicht in die Wiege gelegt zu sein.

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