Herzlich willkommen! Oder nicht?

Eines meiner Lebensthemen: Migration – in welcher Form auch immer. In den letzten Wochen ist die Abgrenzung davon für mich gar nicht mehr möglich, denn nicht nur, dass ich erneut beruflich damit umzugehen habe (und in der Vergangenheit in jedem meiner Jobs im sozialen Bereich), nein: auf meinen Timelines auf Facebook oder Twitter: überall sehe ich nur noch dieses Wort „Flüchtling“ in verschiedenen Komposita.

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Meine Eltern kamen in den sechziger Jahren als „Gastarbeiter“ nach Deutschland, und blieben, wie nicht anders zu erwarten, sehr viel länger als die anvisierten fünf Jahre, um den Verwandten Geld in die Heimat zu schicken. Dass Deutschland es in diesen mehr als 50 Jahren nicht geschafft hat, sich als Einwanderungsland zu verstehen und zu verhalten, ist mehr als beschämend für diese sonst so erfolgsverwöhnte Nation. Es ist politisch gewollt, dass sich hier Menschen aus anderen Ländern nicht wohl fühlen. Das zeigt sich in Verwaltung und Bürokratie und vielen anderen Alltagssituationen. Deutschland möchte kein guter Gastgeber sein, und möchte vor allem nicht, so scheint es mir, Menschen von anderswo integrieren.

Das hört sich undankbar an, denn mir geht es doch gut hier. Worüber möchte ich mich denn beschweren?

Zum Verständnis ein paar Anekdoten, die mir dies so richtig vor Augen führten: In einem hoch dotierten Projekt arbeitete ich daran, dass Menschen mit Migrationshintergrund der Weg in den Arbeitsmarkt erleichtert werde. Ich wurde zwischendurch befördert – beim nächsten Netzwerktreffen kam der Leiter des bundesweiten Netzwerkes auf mich zu und gratulierte mir überschwänglich dafür, der erste Projektkoordinator mit Migrationshintergrund zu sein. Ich war baff. Gerade in diesem Projekt hätten doch gut ausgebildete Menschen wie ich eine größere Rolle spielen müssen, da sie nicht nur Bildungserfolg kannten, sondern auch genug Menschen, die es aufgrund ihrer Herkunft schwerer im Leben hatten. Sie sprachen die gleiche Sprache und hätten als Vorbilder fungieren können.

Bei einer Bildungsmesse sah ich dann DAS symptomatische Bild für das, was krank an diesem Projekt war: Vorne auf der Bühne trug ein „Bio-Deutscher“ etwas vor, auf den Stühlen davor saßen weiße, deutsche, christliche Menschen und hörten zu. Drum herum standen ein paar Menschen, die nicht so weiß, vermutlich nicht so deutsch waren. Die Messe war, wohl gemerkt, für Menschen mit Migrationshintergrund gedacht.

Wieso erzähle ich das alles? Was hat das mit der Flüchtlingsthematik von heute zu tun?

Wisst ihr, wie ich mich als Kind gefühlt habe? Ich wohnte in einer Straße, in der auf der einen Seite nur Migrant_innen wohnten, in hässlichen Häusern, zusammengepfercht in kleinen Wohnungen. Auf der anderen Seite standen Einfamilienhäuser, die von Deutschen bewohnt wurden. Es war noch in den Achtzigern, da gab es eine Zeitlang eine Welle von Angriffen auf Besitztümer von „Ausländern“ in unserer Straße, Autos, die beschmiert oder bei denen die Außenspiegel zerstört wurden, widerliche Graffiti an unseren Hauswänden und ähnliches. Wir hatten Angst. Nein, es ist niemandem etwas passiert, aber wir fühlten uns wirklich nicht willkommen. Und da waren meine Eltern schon zwanzig Jahre in Deutschland und sprachen gutes Deutsch. „Sie sprechen aber gut Deutsch!“, wurde auch mir oft ungefragt mitgeteilt. „Ja, danke, Sie auch!“, erwiderte ich irritiert. Ich veröffentliche Bücher in deutscher Sprache, organisiere Veranstaltungen, blogge, mache dies und das – ja, ich bin sehr viel mehr ein Deutscher als ein Grieche. Das sind meine Wurzeln, und sie sind wichtig. Aber ich habe mich für Deutschland entschieden, habe bei der Einbürgerung auf das Deutsche Grundgesetz geschworen. Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Wenn ich nach dem Deutschen Grundgesetz leben möchte, und das tue ich, wenn ich also ein „guter Deutscher“ sein möchte, dann verbieten sich sehr viele Dinge, die „aufrechte Deutsche“ gerade meinen, tun zu müssen. Ich bin mir sicher, dass die meisten keinen blassen Schimmer davon haben, was da alles drin steht. Und wenn so viele Argumentationsketten mit dem Horizont des „christlichen Abendlandes“ beginnen, dann denke ich: Fuck off! Ich bin nicht gläubig, ich bin ein Agnostiker. Aber eines weiß ich: Wenn ich nach diesen moralischen Grundsätzen lebte, wenn ich an Gott glaubte, dann wüsste ich, dass ich als Mensch demütig sein müsste, dass ich meinen Nächsten zu lieben habe, dass ich ihn/sie nicht richten kann. Ich darf keine Menschen abwerten, ich habe absolut kein Recht dazu. Ich begegne anderen auf Augenhöhe, ich bin nicht besser als sie. So etwas weiß ich. Ich fühle mit anderen mit, sehe ihr Leid, ich teile es mit ihnen, denn ich bin ein Mensch und ich kann nicht anders. Wie oft denke ich: Ihr Menschen, die schlecht über Migranten / Flüchtlinge redet, ihr, die sie misshandeln, ihre Unterkünfte anzünden möchtet, lauft doch mal in ihren Schuhen! Lasst euch doch mal erzählen, wie deren Leben bisher war und wie es jetzt ist.

Ich möchte mich nicht als Gutmensch hinstellen, das ist nicht das Ziel des Textes. Für meine Arbeit mit den Flüchtlingen kriege ich Geld, und ich kann ganz sicher nicht so viel bewirken wie ich möchte. Ich tue zum Beispiel nicht so viel für sie wie viele ehrenamtlichen Helfer_innen in ganz Deutschland. Ich berate sie, ich begegne ihnen auf Augenhöhe, ich versuche mit ihnen Möglichkeiten zu erarbeiten, dass ihre ersten Wochen problemfreier werden, ich bin für sie da. Das ist alles viel zu wenig – und täglich ärgere ich mich mit ihnen gemeinsam über diese verdammte deutsche Bürokratie, die noch nichts von Willkommenskultur gehört hat und es auch gar nicht möchte. Anders lassen sich viele ihrer Entscheidungen nicht erklären, anders lässt sich ebenfalls nicht erklären, wieso das alles gerade so ein großes Chaos mit den Unterkünften ist. Man hatte die Schätzungen schon seit einiger Zeit, wusste, wie viele Menschen nach Deutschland kommen würden. Nur: man hat sich nicht darauf vorbereitet. Oft lässt sich auch das Muster erkennen: Lieber dies und das ablehnen, das schreckt vielleicht ab. Dann spricht sich herum, dass Deutschland doch kein Schlaraffenland ist. Doch wo sollen sie hin, wenn nicht in dieses reiche Deutschland? Es ist beschämend!

Ich möchte allerdings mit diesem Text Migranten / Flüchtlinge nicht nur in der Opfer-Position belassen: Auch wenn ich keinen Klienten und keinen Menschen bewerte, mir nicht anmaße zu richten, ist mir bewusst, dass auch unter diesen Täter sind. Dass sie geflüchtet sind und sich aktuell in einer Notlage befinden, macht sie nicht per se gut. Das ist klar. Nur ist es nicht mein Job, das zu entscheiden. Es ist nicht meine Sache herauszufinden, ob das Asyl berechtigt ist oder nicht. Davon hängt meine Beratung nicht ab, davon hängt nicht ab, ob ich für jemanden da bin oder nicht. Ich versuche jeden Menschen, den ich treffe, zu verstehen, ob beruflich oder privat. Ich versuche Menschen gerecht zu werden, sie nicht zu verurteilen. Aber eines kann ich verurteilen: dass eine so reiche Nation, eine Nation mit dieser Geschichte, es zu verhindern weiß, ein Einwanderungsland zu werden.

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