Ich bin stolz ein … zu sein!

Ja, ich fände es wirklich schön, wenn es Menschen egal wäre, woher ihr Gegenüber stammt, ob aus Australien oder Afghanistan, ob aus Irland oder dem Iran, ob aus Spanien oder Syrien oder sonstwoher. Und ich lasse mir gerne von weltoffenen Menschen aus Deutschland sagen, dass doch in dieser einen Geschichte, die ich gerne erzähle, es völlig egal sei, dass der Koch, aus Pakistan stammt und die Person, die sich über dessen Essen beschwert, aus Afghanistan ist. Nur: es ist dieser Afghanin NICHT egal. Vielleicht dem pakistanischen Koch ebenso wenig, doch den kenne ich nicht.

Ja, ich gehöre zu diesen Menschen, die gerne sagen, dass Nationen und Nationalitäten nur Konstruktionen sind und im Grunde genommen doch sehr unwichtig und mir ist herzlich egal, woher jemand kommt, weil ich sowieso jeden erstmal gleich behandle. Doch nun habe ich täglich mit Menschen zu tun, die DAS aber so ganz anders sehen. Und das meine ich nicht wertend. Das ist ihr gutes Recht und erscheint mir sehr schlüssig. Das sind Menschen, die alles verloren haben, zuallererst ihre Heimat - und damit verbunden auch ihre Identität. Sie kommen nach Deutschland und sind plötzlich ein Nichts: Der gebildete syrische Arzt mit Villa ist genauso wenig wert wie der afghanische junge Mann, der seine Ausbildung in London genoss und im Verteidigungsministerium arbeitete, oder der iranische Journalist, der versuchte, politische Komplotte aufzudecken.

Diese Menschen sitzen nun in Camps herum, langweilen sich, haben viel Zeit zum Grübeln, fühlen sich nutzlos und kleingemacht. Natürlich erheben sie sich irgendwann und sagen: aber ich bin doch wer! Ich kann doch was! Ich habe doch etwas geleistet! Sie wollen ihre Identität bewahren, sie wollen sich zeigen, sie wollen sein, wie sie sind. Sie wollen aber auch ein bisschen Sicherheit bewahren, wenn sie schon alles andere verloren haben. Sie klammern sich an Gewohnheiten, an Traditionen, an Dinge, die sie kennen, an Menschen, die sie kennen. Sie suchen nach etwas Vertrautem. Ich bin ein Afghaner und stolz drauf! Oder: ich bin Syrer und die Kurden sind so und so!

Ja, ich mag keine Klischees. Ich bin ein schwuler Autor, der auch über Coming-out und ähnliches schreibt und muss ständig über Klischees und Vorurteile reden - und bin manchmal schon etwas gereizt. Doch was ich an Klischees und Verallgemeinerungen höre, wenn ich meine Klient/innen berate … DAS würde mir keiner so wirklich glauben! Wie gesagt: Ich schreibe das nicht, um jemanden in die Pfanne zu hauen. Ich habe selten so viele herzliche, liebenswerte, dankbare Klient_innen gehabt wie in dieser Beratungsstelle für Asylantragsteller_innen.

Nein, ich  möchte erklären, wieso ich glaube, dass die Wichtigkeit von Nationalitäten, von Klischees und Vorurteilen nicht wegrationalisiert werden kann, und dass sie vielleicht erst einmal wichtig für geflüchtete Menschen sind: denn sie scheinen ein Selbstschutz zu sein, eine Hilfe in einer ganz neuen Umgebung, die so anders ist, so unüberschaubar.

Meiner Ansicht nach können wir nicht erwarten, dass Menschen, die schwer mit dem Ankommen beschäftigt sind, mit dem Loslassen ihrer Heimat, Menschen, die mit Traumata und körperlichen Gebrechen, Schlafstörungen und Depressionen zu kämpfen haben, sich  gleich in den ersten Wochen politisch korrekt verhalten, gendern, die weltoffensten, sensibilisiertesten Menschen in Deutschland sind. Ich meine, nimmt man mal meine Filterblase auf Facebook außen vor, sind meine Klient_innen etwa so nationalistisch wie der deutsche Ottonormalverbraucher oder AFD- bzw. CDU-Wähler auch.

Ja, es geht noch weiter: Diese Klient_innen bringen diese Wichtigkeit der Nation, der Herkunft, der Religion nicht nur mit, sie wird GERADE in Deutschland noch verstärkt. Wenn wir in Massenunterkünften Securitys haben, die aus den Flüchtlingsländern stammen, ist es zwar auf den ersten Blick positiv, weil sie den Bewohner_innen, die die gemeinsame Sprache sprechen, helfen können. Gleichzeitig aber erzählen diejenigen, die aus einem anderen Kulturkreis kommen, dass sie dann aber auch schlechter von ihnen behandelt werden. Über so etwas denkt auch niemand nach. Oder das auf jedem Formular die Nationalität genannt werden muss, dass Unterschiede zwischen Nationalitäten gemacht werden. Alleine schon die Tatsache, dass Menschen aus Syrien, dem Irak, Eritrea, aus Somalia und dem Iran viele Vorteile gegenüber Menschen aus Afghanistan oder Pakistan haben, schürt doch die Ressentiments. Integrationskurse kriegen erst einmal die Menschen aus diesen fünf Herkunftsländern, sie kriegen auch die Anhörung meist früher - und da gibt es unter den fünf Ländern auch nochmal eklatante Unterschiede. Überall herrschen Hierarchien, überall gibt es Klischees, Schubladen, bei den Sprachmittler_innen, bei den Mitarbeiter_innen in den Behörden.

Nein, ich gehöre sicher nicht zu den Menschen, die sagen: “Ich bin stolz ein … zu sein”, ich sage nicht: “Die Iraner sind … “ und “Die Syrer …” - klar, flachse ich manchmal mit solchen Phrasen herum, aber ernst meine ich das nicht. Ich kann aber tolerieren, wenn andere Menschen diese Zuschreibungen brauchen, denn sie haben Gründe dafür. Gründe, die ich vielleicht nicht  immer wirklich nachvollziehen kann, aber ich habe noch nie meine Heimat unverschuldet verloren, ich musste noch nie alles stehen- und liegenlassen und in ein wildfremdes Land ziehen, in dem ich auf die Hilfe der Leute dort angewiesen bin.

Ja, viele Dinge müssen hinterfragt werden, bevor sie verdammt werden: Warum hat mein Gegenüber jene oder diese Einstellung? Ist sie vielleicht mit Ängsten, Sorgen, Nichtwissen, Nichtverstehen verbunden? Doch bevor es irgendwelche Missverständnisse gibt: Ich möchte meinen Klient_innen ganz sicher keine Freifahrtscheine für Intoleranz oder Nationalismus geben, ich möchte nur zum Dialog aufrufen, zum Nachhaken, was unter der Oberfläche liegt ...

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