Der Mikros-Sammelband I

Nun, ein literarischer Sammelband ist ja quasi das Pendant zum Sampler / zur Compilation in der Musik. Was haben wir uns früher, bevor es die ganzen Streaming-Dienste gab, gefreut, wenn wir selbst schöne Sampler brennen konnten. Mein früherer Mitbewohner A. fertigte für jeden Anlass, sei es Party, Geburtstag, Hochzeit, Schulabschluss, eine spezielle CD mit Titeln, die er passend fand. Ich liebte seine Compilations und ließ mich davon anstecken. Natürlich war ich nicht ganz so fleißig wie er. Ich bin auch froh, dass ich heutzutage auf Youtube oder Spotify mit viel weniger Klicks eine gescheite Playlist hinkriege, die ich auch noch einfach per Link an viele Menschen schicken kann.

Wie auch immer. Was der eigentliche Spaß an diesen Samples ist: man hat eine spezielle Auswahl von Liedern oder in unserem Fall Texten, die auf irgendeine Weise zusammenpassen. Zumindest, wenn man seine Arbeit gut gemacht hat. Dabei macht die subjektiv richtige Reihenfolge der Geschichte schon sehr viel vom Charme der Sammlung aus. In diesem Fall ist es vor allem die Verbindung von Text und Illustration, die gleich am Anfang ihre volle Stärke im Duett Rohm / Vina zeigt. Die Hauptfigur von Guido Rohms Geschichte, der Vorstellungskünstler, lebt in einer Imagination und Marion Vina schafft es perfekt diese Imagination abzubilden. Spannend ist dann, dass die realistische und doch groteske Geschichte des Coolen Daddys mit diesen freshen, authentischen Illustrationen von Noah Carev folgt. Die Welten, in denen die Hauptdarsteller*innen der zwei Geschichten leben, sind so unterschiedlich, wie sie nur sein können.

Nils Lacker holt mit seinem badischen Charme den Band wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Wie erlebt sich die Welt New Yorks in den Augen eines Abiturienten aus der badischen Provinz? Welche Orte möchte er sehen? Was gefällt ihm an der Metropole, womit kann er so gar nichts anfangen? Der Protagonist ist Nils selbst, doch wie wenig hat er mit denen aus den ersten zwei Geschichten zu tun. Und doch: Philipp aus dem Coolen Daddy könnte ein sensibler, jüngerer Bruder von Nils sein. Das zeigt sich vielleicht noch besser später in den Befunden einer verschwendeten Jugend, die sehr speziell von Till Rubach illustriert wurden. Letztere wiederum bilden einen interessanten Kontrast zu den Illustrationen von Julia Drichel in Juliane Blaus Gretchen. Die Story wiederum scheint so gar nicht zum Rest des Geschehens im Sammelband zu passen – und doch, wenn man genauer hinschaut, könnte der crazy coole Daddy von Philipp ein Arbeitskollege der Protagonist*innen aus dem Gretchen sein.

In den Türkischen Gefühlen zeigt sich, dass die Geschichten im ersten Mikros-Sammelband sehr junge Geschichten sind, die meisten Akteur*innen sind tatsächlich zwischen 16 und 25. Zu diesem jugendlichen Flair passen auch die kongenialen Illustrationen von Roya Ashraf, die ebenso präzise und stilvoll wie die anderen Illustrator*innen dem Text ein spannendes Antlitz verleihen konnte. Das Spannende war ja für alle Illustrator*innen nicht den Text eins zu eins ohne Überraschung zu interpretieren, sondern das Werk durch ihre Arbeiten noch zu bereichern und weitere Ebenen hinzuzufügen.

Der Vorteil eines Samplers ist, dass sich neue, wunderbare Künstler*innen entdecken lassen, die man sonst vielleicht niemals kennengelernt hätte. Das ist, glaube ich, auch in unserem Mikros-Sammelband der Fall. Viel Spaß beim Lesen und Anschauen!

 

 

In einer Zeit, in der die meisten Verlage sich scheuen, Erzählbände angehender Autor*innen zu verlegen, in einer Zeit, in der sie sich davor hüten, Kurztexte zu veröffentlichen, weil sich das alles nicht verkaufe, fanden wir, es ist genau jetzt die Zeit, Kurztexte in den Mittelpunkt zu stellen.

Der Mikros-Sammelband vereint unsere Kurzgeschichten und Gedichte aus der Mikros-Reihe, die bisher als eBooks bei astikos erschienen sind.

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