Another Cinderella Story
Heute erzähle ich Euch, wie ich eines frühen Morgens, ohne Schuhe beim Marktschreier Trauben kaufte. Es ist eine Geschichte, die mich bis heute verfolgt. Eine Geschichte die mich nicht loslässt … Da meine Familie keine Gelegenheiten auslässt, sie zum Besten zu geben.
Alles begann an einem wunderschönen und warmen Sommertag im Juli vor ein paar Jahren. Das genaue Datum verschwimmt nach all den unzähligen Malen der Erzählung in meinem Gedächtnis. Die Freundin einer Freundin hatte Sturmfrei und sie veranstalteten beide eine spontane Party. Genauer gesagt war es eine Gartenparty.
Das Wetter war wunderbar, schöner hätte man es sich nicht wünschen können. Die noch nicht alkoholisierten Typen warfen den Grill an und der Garten lud mit entspannten Designermöbeln der Eltern zum erstklassigen schlürfen an den viel zu stark gemixten, aber für Hauspartys typischen Longdrinks ein.
Alles verlief zur vollsten Zufriedenheit für Gäste sowie Gastgeber.
Doch dann, oh weh oh weh, nahm der Abend einen verheerenden Verlauf für meine Schuhe und meinen Ruf innerhalb meiner Familie. Es zog nämlich urplötzlich ein heftiges Gewitter auf. Der Himmel wurde rabenschwarz und es goss wie aus Kübeln. Wohl oder übel, zum Leidwesen der Gastgeberin, mussten wir uns samt dem Alkohol in das Haus retten. Panik, bezüglich der Einrichtung der Eltern, kroch in der Hüterin des Hauses auf und selbige rannte erstmal herum und verschloss alle Zimmertüren, die nicht betreten werden sollten und verlangte von jedem Gast – im Haus seine Schuhe auszuziehen. So lag also nun vor der Treppe zur Terrassentür ein Berg von Schuhen. Die Gäste ließen sich nicht von der Stimmung der Gastgeberin anstecken und feierten nun vergnügt im Wohnzimmer weiter. Hier möchte ich jedoch erläutern, dass sie ganz umsonst angespannt war und hektisch Untersetzer verteilte und wertvolle Glasgegenstände entfernte. Denn es wurde zwar getrunken, aber die Party verlief wirklich gesittet. Die meisten saßen auf der Couch und unterhielten sich, die anderen saßen am Tisch und spielten – zwar alkoholisiert, aber harmlos – ein Gesellschaftsspiel. So schnell wie das Gewitter aufzog, war es auch wieder verschwunden und die untergehende Abendsonne gab alles um den Regen zu trocknen. Die gestresste Hausherrin rannte also erneut herum und wollte nun alle wieder in den Garten treiben, aber sie appellierte mittlerweile gegen zu betrunkene und starrsinnige Ohren. Die Raucher fanden ganz von alleine wieder den Weg in den Garten, aber einige – um ehrlich zu sein, die meisten – blieben doch im gemütlichen Wohnzimmer. Ab jetzt verläuft der Abend unspektakulär, also spulen wir etwas vor. Ein sehr guter Freund, bei dem ich an dem Abend übernachtete, musste leider arbeiten und kam nur kurz vor Schluss auf der Party vorbei. Die Party ging nicht mehr lange, aber wie es für ihn typisch war, schaffte er es dennoch den gesamten Abend alkoholisch in einem Rekordtempo nachzuholen und war zum Zeitpunkt des Aufbruchs betrunkener als ich. Aber das war auch nicht so besonders schwer, denn als ich meine Schuhe aus dem Berg vor der Tür zusammenklauben wollte, war ich auf einen Schlag wieder nüchtern. Denn sie waren weg. Verschwunden! Auch im nahen Umkreis der Tür lagen sie nicht. Mein betrunkener Freund half mir, so gut er noch konnte, die Gastgeberin bereicherte nur mit einem schnippischen »keine Ahnung wo die sind«, meine Suche. Sie war seit der wiederaufkeimenden Sonne immer noch echt sauer weil niemand ihren Wünschen, draußen weiter zu feiern, nachkam. Mein Freund wurde quengelig, die Arbeit und der Alkohol machten ihn unausstehlich müde, so blieb mir nichts anderes übrig, als Barfuß die Party zu verlassen. Barfuß mit der Straßenbahn zu fahren und barfuß durch die Innenstadt von Darmstadt zu laufen. Artige Mädchen gehen im Hellen nach Hause, so auch in dieser Nacht – oder an diesem Morgen. Es war nämlich schon wieder hell und die ersten Menschen waren auf dem Weg zur Arbeit. Wie soll es anders sein, starrten sie das Mädchen im Partykleid, müden Augen und Make-up Überresten einer vergangenen Nacht und eben ohne Schuhe unverhohlen an. Ein paar schüttelten sogar den Kopf. Mein Freund trug Flip Flops in dieser Nacht. Heldenhaft bot er mir sie an. Aber seit ihr schon einmal in Flip Flops gelaufen, die euch ungefähr 5 Nummern zu groß sind? Es ist schier unmöglich damit zu laufen! So ging der Walk of Shame wieder barfuß weiter. Um mich aufzuheitern, stoppte mein Freund beim Marktschreier und kaufte für mich, wie schon gespoilert, die ersten Trauben dieses Morgens. Zwar immer noch ohne Schuhe aber mit einer Tüte Obst in der Hand, war es irgendwie schon wieder so surreal, dass ich in das Lachen meines Freundes miteinsteigen konnte. Bei ihm angekommen, fielen wir ins Bett. Meine schwarzen Füße waren das Problem der ausgeschlafenen Zukunfts-Julia sowie der Person, die sein Bettlaken wusch.
Jetzt gibt es noch zwei Dinge zu klären: Wo waren meine Schuhe? Und wie kriegten es meine Eltern überhaupt mit? Zuerst zu Frage zwei: wie man sich schon denken kann, war ich ohne Auto unterwegs und meine Mutter bot an, mich am nächsten Tag in Darmstadt abzuholen. Damit sie nicht parken, aussteigen und klingeln musste, wartete ich schon an der Straßenecke vor dem Haus auf sie. Und der Anblick ihrer Tochter, im Partyoutfit, mit zerzausten Haaren und Barfuß mit schwarzen Füßen am helllichten Tag auf dem Bordstein stehend, muss sich so in ihre Netzhaut eingebrannt haben, dass ich mir bis heute, bei jedem Schuhkauf einen Spruch über meinen Verlust selbiger anhören darf. Meine unzähligen Erklärungen, dass ich komplett schuldlos am Verlust meiner Schuhe war, interessierte niemanden. Aber was war nun mit meinem Schuhen? Die Gastgeberin war – wie schon geschildert – echt sauer, dass sie niemand mehr beachtete und muss wohl in ihrer Wut einen Teil der Schuhe, so viele wie sie in die Arme klemmen konnte, vom Balkon in den Garten geworfen haben. Darunter auch meine! Wieso sie mir das beim Gehen nicht sagte, sondern sie ein paar Tage später selbst aus der Hecke zusammensuchte und mir mit einer geflüsterten Entschuldigung wiedergab – das bleibt bis heute ihr Geheimnis. Aber was soll’s, Cinderella verlor auch ihre Schuhe und fand dafür immerhin ihren Prinzen, ich aß Trauben.
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