Baby T.
Ich kam so auf die Welt. Mit Vollbart und Schamhaar. Und ohne Scham. Und war gleich verwundert. Alle anderen in dieser neuen fremden Welt waren nackt. Ich war in Deutschland. Noch größer war meine Verwunderung über den ü-Mangel in der neuen Sprache, die so anders schien. Mein erstes Wort: ein ›ü‹. Die nackten Menschen aber ü-ten nicht, sie röchelten: ‚ch’ hier, ‚ch’ dort, sie ch-ten. Ich wollte zurück in den Mutterleib. Der Arzt aber war kompromisslos. Er zerrte mich zurück ans Licht. Daraufhin belohnte ich ihn mit einer schönen braunen Babypackung. Mein Lohn: ein Klaps auf den Po und Hausverbot auf Babyzeit. Und später, während die Ersten in der Unterstufe mit einer Lupe nach dem ersten Barthaar spähten, in der Hoffnung, endlich die Männlichkeit erlangt zu haben, fand ich mich schon mitten unter den Mädchen – zumeist als gutlauniger Teddy mit gekraultem Brusthaar.
In der Folge wurde ich natürlich größer. Ein Zipfel durchbrach das Schamhaar. Ich begann, allmählich mitzuröcheln. Ich wurde gut darin. Ein Sprachjongleur geradezu; ‚ch’ hier, ‚ch’ dort, ‚ch’ forever. Meine Integration nahm Formen an. Ich kombinierte Döner mit Kartoffeln und Sauerkraut und zollte beiden Kulturwelten so meinen wohlwollenden Respekt. Ich war nun drin im deutschtürkischen Schnatterduell. Die Einen schimpften ‚ü’, die Anderen ‚ch’, mir blieb das ‚üch’.
Und mit der Zeit, wie ich älter wurde, formte sich mein Geist neu, emanzipierte sich. Von ‚ü’ über ‚ch’ zu ‚üch’, schließlich bis zum ‚chü’. Ich begann, gegen den Strom zu schwimmen. Plötzlich lauschten alle. Viele. Nun, manche. Auf einmal war Gast T. in aller Munde bloß noch T.; T., der Student; T., der Autor; T., der da (mit Fingerzeig!). T. zeigte sich daraufhin kenntlich und sprach fortan ohne ‚ü-s’ und ‚ch-s’.
Er gab si() als Weltb()rger, mimte das Vorbild s()le()thin im Interesse von Mitmens()li()keit und Nä()stenliebe. Er gr()ndete zahlrei()e Unternehmen und Organisationen unters()iedli()er Art – f()r Forts()ritt, Gesundheit und eine neue Spra()e. In dieser Spra()e verfasste er seinen ersten Roman. Der Wille der Leser war da. Die Muße nicht. Der Roman bestand zur Hälfte aus L()cken, die diesen Willen strapazierten. T. war si() si()er, dass der Forts()ritt s()on bald au() hier eine Lösung herbeigef()hrt haben w()rde. Die Lösung kam ni()t. Petitionen stürmten die Bestsellerlisten, weil plötzli() alle mitma()ten. Kriege fanden bald keine Teilnehmer mehr. Das Verlagswesen orientierte si() nur no() in eine Ri()tung. Und Missverständnisse kamen häufiger als der Regen. Trotz aller guten Absi()ten. Also hielt er den Mund und entzog Verständnis und Missverständnis gänzli() den Boden. Bis die Einsi()t kam, und er merkte, dass es ohne ü-s’ und ‚ch-s’ so ganz dann do() ni()t ging. Fortan war T. nicht mehr T., der Andersartige, sondern einer unter allen, mit Facetten und dem Gesp(ü)r für das Ri(ch)tige.
Das ganze Buch
Levend Seyhan – Kalter Cappuccino
Das Leben zwischen heißer Leidenschaft und kaltem Cappuccino hält einige Anekdoten bereit. Zufällige Begegnungen, absichtliche Trennungen und vom Schicksal arrangierte Neuanfänge bilden den Rahmen für die Geschichten, die Levend Seyhan […]