Julia Mandl – Literarische Gastbeiträge

Ich hatte doch nur Hunger

Von Zuhause auszuziehen bedeutet nicht nur wegbleiben bis zur Morgendämmerung ohne Rechenschaft ablegen zu müssen, oder bis um 15 Uhr »morgens« zu schlafen. Die Vorlesung einfach mal eigenmächtig ins Home Office zu verlagern und aufzuräumen, wann man möchte, ohne mit dem obligatorischen Müllsack gedroht zu bekommen. Es bedeutet aber eben auch, das elterliche Wlan zu verlassen, zum schon genannten Aufräumen auch noch Putzen und das schwerste von allem: Einkaufen. Ja ja der obligatorische Witz: hä der Kühlschrank füllt sich nicht von alleine, war mir schon bewusst. Ihn zu befüllen bekomme ich hin. Aber was mir vorher nicht klar war: wieviel System und jahrelanges Training wohl dahinter stecken muss. Respekt Mama!!! Ich habe nämlich nie das drin, was ich brauche! Pesto, aber keine Nudeln. Käse, aber kein Brot. Eine Gurke, aber keinen Salat. Milch, aber auch kein Müsli mehr. Sogar für ein Risotto besitze ich eigentlich immer nur den Weißwein! Ich ernähre mich seit meinem Auszug zumeist von Kaffee, Luft, Liebe und dem Asiaten um die Ecke. Da der aber keine selbstgemalten Julia-Coupons annimmt, geht das ganz schön ins Geld. Was herangeschafft werden muss. Lasst mich euch deswegen heute in einen meiner typischen Tage in der Großstadt mitnehmen: Ich bin schon seit morgens um neun unterwegs, voll auf Koffein und einem Apfel, den ich von meinem Mitbewohner stibitzt habe und bestreite meinen Tag in Frankfurt. Uni, Arbeiten und dann noch ein Vorstellungsgespräch im durch-gentrifizierten Bahnhofsviertel für ein Praktikum im PR Bereich für ein Festival in New York. Natürlich unbezahlt, joa das löst mein finanzielles Lieferservice-Kosten-Problem jetzt nicht wirklich. Ah den Flug müsste ich auch selbst zahlen? Gut, ich melde mich … nicht. Während ich an diesem Tag von Termin zu Termin hetze, meldet sich auch unentwegt mein Maileingang einer allseits beliebten und berüchtigten Dating App. Der Herr lässt nicht locker, möchte mich unbedingt zum Essen einladen. Die Konversation lässt bis zu diesem Punkt leider zu wünschen übrig. Einzig der schon längst verdaute Apfel und der Inhalt meines derzeitigen Kühlschranks lassen mich überlegen die Einladung anzunehmen. Ich hätte Kartoffeln … und Senf. Okay, Geld hab ich noch einstecken, 20 Uhr, Dating Time! Viel langweiliger als alleine traurige Kartoffeln zu essen, kann es ja nicht werden. Mein 36er Großstadtbus schmeißt mich am Oeder Weg raus und ich suche die Adresse des Lokals. Meine heutige Begleitung ist noch nicht da. Der erste Blick auf die Karte lässt mich erschrecken, ich hoffe der Typ weiß was er da für ein Etablissement ausgewählt hat.  Als er in der Tür erscheint, wird er mit Küsschen links, Küsschen rechts begrüßt. Frage beantwortet. Er freut sich mich zu sehen, dass ich in erster Linie nur Hunger habe, verschweige ich mal und grinse ihn über die Speisekarte hinweg nett an. Ich bin zwar immer für Emanzipation, aber als es zur Bestellung geht, muss ich einfach alles riskieren und hoffen, dass er bezahlen wird. Denn selbst für meine bescheidene Hauptspeise müsste ich echt lange arbeiten. Was die Flasche Wein auf unserem Tisch kostet, möchte ich nicht mal erahnen. Ich weiß nicht, ob ich so verhungert aussehe, aber er ordert  eigenständig auch noch Vor- und Nachspeise für mich, die müsse ich einfach probieren! So haben wir also einen langen Abend vor uns - dabei wollte ich doch nur schnell was essen ...  Aber zu meinem Erstaunen, oder durch den echt guten Wein - ich weiß es nicht - haben wir richtig Spaß und das Essen hält, was der Preis verspricht! Schriftlich war er echt schnarchig, aber live unglaublich charmant. Ich weiß nicht, was besser ist: sein Lächeln oder das wirklich mega gute Tiramisu! Also Leute, wer braucht schon einen vollen Kühlschrank, wenn die Stadt in der man lebt, einem so viele Möglichkeiten bietet, zum Essen eingeladen zu werden?  Aber lasst euch beruhigen, der spätere Gin Tonic geht auf mich. Wer weiß was noch … Cheerio.

 

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P – Stadt/ Kultur-Magazin Darmstadt

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