Online mit Jannis

Ich kann mich noch erinnern, wie ich im Jahre 1997 ohne Mobiltelefon auf einem Musikfestival (Pink Pop in den Niederlanden) unterwegs war und meine Freunde verlor – was schlimmer für sie war als für mich, da ich die Geldbörsen für sie aufbewahrt hatte. Sie hatten von der Bühne springen wollen, stage diven – tja, und obwohl wir einen Treffpunkt für Fälle des Nichtfindenkönnens ausgemacht hatten, klappte das nicht … Was ich damit sagen möchte: Ich war also sehr spät dran damit, ein Mobiltelefon zu erwerben, sehr viel später sogar, ich glaube, das war 2001 oder 2002. Und ich benutzte es wirklich nicht oft. Auch mit dem Internet am Smartphone war ich sehr, sehr spät dran. Umso erstaunlicher ist nun meine Sucht.

Jannis

Es ist kaum zu glauben: Schaue ich zuhause einen Film oder eine Serie, blicke ich ständig auf mein Smartphone, sitze ich in der Bahn das gleiche Spiel, selbst beim Kaffee Trinken mit Freunden, immer, immer wieder muss ich schauen, ob neue Nachrichten, Emails oder whatever ankommen. Und beantworten. Ständig ist irgendwas. Ständig muss ich etwas organisieren, besprechen, posten, liken, faven, retweeten und was es sonst noch alles gibt. Die Frage nach dem Warum ist schon längst nicht mehr die Kernfrage. Es ist eben so. Es ist eine Sucht – und es ist unsere moderne Gesellschaft. Ohne die Schuld von mir selbst weisen zu wollen, es ist nun eben so.

Nun habe ich diesen »kommunikationsfreien Tag« eingeführt in diesem Jahr. Zum Selbstschutz. Um endlich mal einen Tag GANZ abzuschalten. Kein Social Media, keine Emails, keine Whatsapp, SMS, keine Anrufe. Nicht arbeiten. Einfach nur chillen. Für mich sein.

Aber es ist schwer. Wirklich schwer. Ich befinde mich in einer Situation, in der ich ständig ein Projekt im Nacken habe, ständig etwas zu tun, immer muss etwas beantwortet und bedacht werden. Es ist eben so. Ich kann nicht aus meiner Haut. Schließlich macht es mir auch großen Spaß! Aber es geht so nicht. Ich brauche mal Abstand, mal einen Tag Kurzurlaub von all dem. Ruhe. Aber ich muss etwas dafür tun. Ich schalte mein Smartphone auf Flugmodus, damit ich den Wecker oder Musik nutzen bzw. hören kann. Doch ich zucke immer wieder, während ich einen schönen Film schaue, möchte herausfinden, ob es etwas Neues gibt. Ich zucke, weil ich zwischendurch an meine Projekte denken muss. Aber nein, an diesem kommunikationsfreien Tag muss ich abschalten, muss ich es aushalten, nichts zu tun! Obwohl ich Zeit habe. Nein, das muss sein. Weil alles viel zu viel ist. Viel zu viel Kommunikation.

Ich brauche diesen kommunikationsfreien Tag, muss ihn mir aber von mir selbst abtrotzen!

Nun nach einigen kommunikationsfreien Tagen kann ich sagen, dass es wirklich nicht leichter wird. Okay, nehmen wir mal den April 2015: da war ich fünf Tage im Elsass – im Haus gab es kein Wlan und nichts, ich befand mich im Ausland. Und ich beschloss fünf Tage nicht aufs Smartphone zu schauen, maximal Musik daran zu hören. Das ging sehr leicht, weil ich meine engsten Freunde mit dabei hatte und weil ich alles so weit erledigt hatte. Ich hatte mir quasi diese kommunikationsfreie Zeit verdient. Mir saß nichts im Nacken. Seit August 2015 arbeite ich in der Flüchtlingsberatung: Montag bis Donnerstag bin ich da im Büro, an kommunikationsfreie Tage ist da leider nicht zu denken. Da bleiben nur die Wochenenden. Da möchte ich aber meine anderen Projekte vorantreiben, meine Freunde treffen. Sonntags böte sich dann an, aber da ist ja bekanntlich mein astikos-Tag, da skypen wir miteinander. Samstags geht man doch aus, da sollte ich schon erreichbar sein. Es bleibt meist nur der Freitag. Aber jeden Freitag kommunikationsfrei? Schwer durchführbar! Manchmal sind da Veranstaltungen, manchmal gehe ich auch da aus. Aber alle paar Wochen schaffe ich es dann doch! Und es bleibt schwer. Und es tut gut, wenn ich mich selbst besiegen kann. Nach wie vor 🙂

Es ist schwer mit Gewohnheiten zu brechen. Auf dem Smartphone sind so viele Apps, die man so nutzt: Tinder, Instagram, Whatsapp etc. Sie bringen alle Unterhaltung, lenken ab, sie verführen einen dazu, ständig auf das Phone zu schauen. Sie piepsen und blinken und wenn nichts passiert wundert man sich darüber. Wir haben uns alle angewöhnt, automatisch immer wieder darauf zu schauen …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert