Vom Glück

Am 20.3.2015 jährte sich zum dritten Mal der Internationale Tag des Glücks, der im Juni 2012 von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen wurde. Mit diesem Aktionstag soll die Bedeutung des Strebens nach Glück und Wohlbefinden bewusst gemacht werden. Genosse Jannis nahm sich das zum Anlass, sich für uns ein paar Gedanken zu einem Thema zu machen, das gleichsam schwierig wie spannend ist – und zu dem wir gerne Bücher auf “Großstadtglück” bezogen machen möchten. Habt ihr Texte in euren Schubladen dazu? Her damit! astikos interessiert sich dafür!

„Es gibt nur einen angeborenen Irrtum, und es ist der, dass wir da sind, um glücklich zu sein.“ So beginnt ein berühmter und viel zitierter Aphorismus von Arthur Schopenhauer. Weiter geht er so: „Angeboren ist er uns, weil er mit unserm Dasein selbst zusammenfällt und unser ganzes Wesen eben nur seine Paraphrase, ja unser Leib sein Monogramm ist: sind wir doch eben nur Wille zum Leben; die sukzessive Befriedigung alles unsers Wollens aber ist, was man durch den Begriff des Glückes denkt.“

Wieso machte mich dieser Tag plötzlich so stutzig, so nachdenklich? Wieso ließ er mich nachdenken darüber, was Glück überhaupt ist, und ob Glück das oberste Prinzip sein muss? Pursuit of Happiness heißt es im Amerikanischen und ist sogar in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinten Nationen eingeschrieben. 2007 wurde ein Film mit diesem Titel und Will Smith in der Hauptrolle gedreht, der ein großer Erfolg wurde. Buchhandlungen sind voll mit Büchern über das Thema Glück. Es gibt mittlerweile sogar einen Glücks-Index für Nationen, ein „Bruttonationalglück“. Die „Wirtschaftswoche“ stellte im Oktober 2014 die 30 glücklichsten Nationen Europas vor, immerhin auf Platz 9 mit steigender Tendenz lag Deutschland – die Benelux-Länder davor, die skandinavischen Länder an der Spitze, Schweden auf Platz 2 und Dänemark erneut auf Platz 1. Was die Zeitung mit Wohlstand erklärt, und schmunzelt, dass „Geld wohl doch glücklich mache“.

Und das ist nun genau der Punkt, der mich zum Nachdenken angeregt hat: Glück wird plötzlich zum Leistungsprinzip, zu etwas, nach dem man streben, das man haben muss! Und wenn man es nicht hat, dann ist man vermutlich arm und erfolglos. Glück, so wurde uns doch als Kind immer wieder suggeriert, ist eben nicht das fette Auto, das große Haus, sondern ein strahlendes Lachen eines Freundes, eine schön anzuschauende Blume, ein blauer Himmel, ein Spaziergang im Wald, Dinge, die nichts kosten. Oder ist das doch nicht so? Und war die Diskussion Kapitalismus / Antikapitalismus nicht zwei Tage zuvor bei den Blockupy Demonstrationen rund um die EZB Eröffnung ein großes Thema? Hatten die Randalierer nicht eben diese Statussymbole (Mercedes) angegriffen und als falsche Symbole erkennbar gemacht, und damit angedeutet, dass wir unser Glück nicht von Dingen abhängig machen dürfen?

Mein Blogbeitrag wirkt sicherlich unstrukturiert, doch das ist Strategie: Ich gebe keine Antworten, ich kann es nicht, und ich weiß nicht, wie ich an das Thema herangehen soll.
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„Die Kunst, Glück zu haben.“ So beginnt ein Aphorismus von Baltasar Gracian aus dem „Handorakel und Kunst der Weltklugheit“. „Es gibt Regeln für das Glück: denn für den Klugen ist nicht alles Zufall. Die Bemühung kann dem Glücke nachhelfen. Einige begnügen sich damit, sich wohlgemut an das Tor der Glücksgöttin zu stellen und zu erwarten, daß sie öffne. Andere, schon besser, streben vorwärts und machen ihre kluge Kühnheit geltend, damit sie, auf den Flügeln ihres Wertes und ihrer Tapferkeit, die Göttin erreichen und ihre Gunst gewinnen mögen. Jedoch, richtig philosophiert, gibt es keinen andern Weg als den der Tugend und Umsicht, indem jeder gerade so viel Glück und so viel Unglück hat als Klugheit oder Unklugheit.“

Ja, was jetzt?! Ich bin also meines Glückes Schmied, es hat nichts mit Zufall zu tun, ich muss daran arbeiten – und dann wird alles gut und das Glück klopft an die Tür? Bin ich oder handele ich unklug, wenn ich nicht glücklich bin? Sagt der Volksmund nicht, dass das Glück bei den Dummen ist? Als ich mich selbst fragte, ob ich glücklich sei, beantwortete ich das erst einmal mit JA. Und was war meine automatische Begründung? Ich hatte die Möglichkeit in diesem Jahr 2015 bereits drei lang gehegte Träume in die Tat umzusetzen. Zwei Wochen lang war ich Tänzer in einem Tanztheater, was mich sehr befriedigte (glücklich machte?) und zwei Wochen lang war ich Kurator einer Ausstellung, was sich zu einer der spannendsten Erfahrungen meines Lebens entwickelte. Und jetzt astikos. Ich kann doch von Glück reden, oder? Alle drei Dinge habe ich mir erkämpft, nichts davon kam mir zugeflogen, alles war und ist harte Arbeit, alles davon hat mit meinem jahrelangen Schaffen und Netzwerken zu tun. Ist das Glück?

Natürlich fielen mir auch andere Gründe ein, mich glücklich zu fühlen: liebe Freunde zu haben, mich geliebt zu fühlen, schreiben zu können, genug zu essen und trinken zu haben, kreativ zu sein, viele Möglichkeiten der Inspiration zu erfahren, ein Dach über dem Kopf zu besitzen, einen wunderbaren Mitbewohner dabei zu haben und und und … Aber fühle ich mich dauernd glücklich? Und nochmal: Was ist denn Glück überhaupt? Wie kann ich das Gefühl definieren?

Harald Hutterer gibt auf seiner Seite mehrere Definitionen für Glück: Für Psychologen ist Glück demnach „eine extrem starke positive Emotion und
ein vollkommener, dauerhafter Zustand intensivster Zufriedenheit“. Dann spricht er von der Empfindung der absoluten Harmonie unseres Bewusstseins, was man erlangen kann, wenn man in seinem augenblicklichen Tun aufgeht, so dass alles um uns herum keine Rolle mehr spielt. Glück setzt sich für ihn aus folgenden Elementen zusammen: positive Gefühlslage, Abwesenheit negativer Gefühle und Zufriedenheit mit dem Leben als Ganzes. Er schreibt weiterhin, dass man völlige Glückseligkeit erreicht, wenn man völlig im Jetzt verweilt, wenn die Gedanken stillstehen. Psychologisches Wohlbefinden merkt er an, sei die Kombination aus sich gut fühlen und effizient funktionieren.

Bringt mich das nun weiter? Ich gehe zurück, in die Antike, zu den griechischen Philosophen. Aristoteles sprach in der „Nikomachischen Ethik“ über das Glück, er sagte, dass jeder Einzelne, ein Leben für sich auswählen müsse. Das Ziel dieses Lebens sei die Eudaimonia, die gewöhnlich mit dem Begriff „Glück“ übersetzt werde. So lese ich es bei Wilhelm Schmid: „Schönes Leben? Einführung in die Lebenskunst“ nach. Er führt sieben Bestimmungen des Aristoteles an, die hilfreich sein könnten, dem Begriff näher zu kommen.

Punkt 1 ist: „Das Glück ist ein wählbares Gut“ – jeder strebt nach diesem höchsten Gut, dem Glück. Keinem falle es automatisch zu, man muss dafür seine Lebensform auswählen, die eine Richtung vorgibt. Er meint damit die der Lust zugeneigte, die der gesellschaftlichen Arbeit gewidmete und die theoretische Lebensform. Wobei Schmid hinzufügt, dass noch viele andere Lebensformen möglich und zu erproben seien. „Das Glück ist eine spezifische Tätigkeit“ – „Beim glücklichen Menschen ist das gute Leben auch ein gutes Handeln, und dies ist ein Handeln im Hinblick auf Vortrefflichkeit, auf Exzellenz.“ Und weiter: „Schon die exzellente Ausübung banaler Alltäglichkeiten kann eine beglückende Erfahrung vermitteln. Wichtig ist diese Arbeit am Glück, die Einsicht, dass man für dieses Glück etwas tun muss, seelisch, alltäglich, ein Leben lang.“ (nach Schmid)

Noch nicht einmal bei Punkt 3 angekommen, frage ich mich nach wie vor, was Glück sein soll. In diesem Moment denke ich: ich muss viel tun, um glücklich zu sein, mir muss das alles bewusst sein, ich muss achtsam sein – auch solche modernen, viel strapazierten Begriffe der letzten Jahre. Alleine, dass ich mich am Sonntagnachmittag hinsetze, mir Bücher zu Gemüte führe, versuche mich einem bestimmten Thema anzunähern, es mit Bedeutung aufzufüllen, ist schon Glück. Oder? Ich war einmal auf einer Tagung zum Thema „Alphabetisierung“, da sprachen Wissenschaftler aus allen Teilen der Welt. Einer, ich glaube, es war der Professor aus Indien, merkte an, dass bei Menschen, die bei der Maslowschen Bedürfnispyramide auf Stufe 1 stehen, die Partizipation an Bildung und Politik noch weit weg entfernt erscheint. Wer kein Dach über dem Kopf hat, sich darum kümmern muss, sich und die Seinen zu ernähren, hat wahrlich andere Sorgen als philosophische Bücher über „das Glück“ zu lesen. Vielleicht war er sogar niemals in der Schule, kann nicht lesen. Was ist für diese Menschen Glück?

Und bevor ich zu Punkt 3 nach Aristoteles (bzw. Schmid) voranschreite, mache ich einen weiteren Schlenker. Zuletzt diskutierte ich mit einem Freund, der arbeitssuchend und Single ist, über das Thema Glück. Er grämte sich, jammerte, sagte, dass er unglücklich sei, er habe doch nichts. Und ich fragte: Ist unser Glück davon abhängig, einen Job, eine/n Freund/in, viel Geld zu haben? DAS kann ja nicht sein. Müssten dann alle Arbeitssuchenden und Singles unglückliche Menschen sein? „Das Glück ist ein Leben in der Verflochtenheit“, sagt Aristoteles. Das Glück steht für sich alleine, aber es braucht die „Verflochtenheit“, und meint das Netz sozialer Beziehungen. Die Familie, der Freundeskreis, die Gesellschaft. Und zwar nicht nur die Lebenden erwähnt er hier, sondern zum Beispiel auch die spätere Nachkommenschaft. Freundschaft ist für ihn von herausragender Bedeutung, er widmet dieser Thematik zwei Kapitel der „Nikomachischen Ethik“. Er spricht von wahrer Freundschaft, „die auf der wechselseitigen Beziehung der Freunde um ihrer selbst willen beruht, nicht abhängig von zufälligen Interessen und Lüsten und unzulänglich für Verleumdung.“ (nach Schmid) Selbstfreundschaft ist dabei ein großes Stichwort für ihn, die ist eine wichtige Voraussetzung für wahre Freundschaft. Man müsse mit sich selbst eins sein, nicht sich selbst fliehen, des Lebens überdrüssig sein, und damit Vergessen bei Anderen suchen.

Für Aristoteles besteht das Glück aus drei Gütern. Die seelischen Güter sind natürlich die höchsten, darunter befinden sich die Exzellenz, die Klugheit, die Weisheit, aber auch die Lust und das freudvolle Leben. Lust und Freude kann aus dem bezogen werden, was das Selbst liebt, ein besonderes Buch, Theaterstück, Pferd, abstrakter: die Gerechtigkeit oder das Schöne an sich. Körperliche Güter müssen immer in Verbindung mit seelischen Gütern stehen, sie sind eher Hilfsmittel. Dazu gehören Gesundheit und äußere Schönheit (Schönheit ist dem Glück förderlich, eine gar hässliche Gestalt kann da schwieriger sein). Lust kann körperlich und seelisch gemeint sein. Und nun werden die äußerlichen Güter genannt, ja, damit ist durchaus Geld und Wohlstand gemeint – und da kommen wir wieder auf die Maslowsche Pyramide zurück. Äußerliche Güter sind Hilfsmittel und es ist wirklich sehr viel leichter, zu philosophieren und schöne Gedanken zu haben, wenn man nicht den ganzen Tag über existenzielle Sorgen hat, sich um die nächste Mahlzeit sorgen muss.

Das Glück kann man lernen, davon ging Aristoteles aus, Glücklichsein sei also einzuüben wie irgendwelche konkreten Handgriffe auch, wobei eine Sorge um Vortrefflichkeit und Exzellenz und eine bewusste Beschäftigung mit dem eigenen Leben Voraussetzungen sind. So sah er als politisches Ziel auch an, dass die Pädagogik die Befähigung zum Glücklichsein vermitteln solle. Auf diesen Punkt komme ich also immer wieder zurück, aus verschiedenen Richtungen. „Das Glück ist ein erfülltes Leben“, so heißt es weiter, und wird noch abgehobener: er meint nämlich die „vollendete Vortrefflichkeit“ und weiter zu steigernde Exzellenz damit. Nur dann sei das Leben erfüllt. In diesem Sinne, merkt Schmid an, können Kinder gar nicht glücklich sein. Der Prozess ist nie beendet, das ständige Tätigsein ist das bedeutende. Aber, und jetzt wird es interessant, erfülltes Leben bedeutet alles zwischen „Positivem“ und „Negativem“: Nicht nur ein angenehmes Leben, sondern auch ein Leben mit dem Widrigsten auf die schönste Weise.“ Da kommen wir auf den arbeitssuchenden, unglücklichen Single zurück. „’Das Schöne’ besteht vielmehr darin, als Mensch mit ‚großer Seele’ auch Schicksalsschläge tragen zu können. Entscheidend ist, worauf das Schwergewicht des Lebens liegt; der wahrhaft gute und besonnene Mensch ist in der Lage, aus dem Gegebenen immer das Schönste zu machen’, darin besteht seine Kunst des Glücks. Dieses Glück umfasst die gesamte Spannweite des Lebens, es ist nicht mehr nur das Glück einer zufälligen Zeitspanne, sondern eines erfahrungsreichen, erfüllten Lebens.“ Den letzten Punkt „Das Glück ist etwas Göttliches“ möchte ich etwas aussparen, aus Gründen …

So, der Sonntag ist fast vorüber, ich glück 2habe recherchiert, ich habe mich in einem Labyrinth verlaufen, so erscheint es mir gerade. Wie schließe ich diesen Text ab? Mit welcher Erkenntnis? Ist das Büchermachen mein Glück? Meine Arbeit, meine Kunst, mein Ichsein? Oder …

„Das Glück des Menschen – ich habe seine tiefsten Gründe gesucht, und das habe ich herausgefunden: Der Grund liegt nicht im Geld oder Besitz oder Luxus, nicht im Nichtstun oder Geschäfte machen, nicht im Leisten oder Genießen. Bei glücklichen Menschen fand ich immer tiefe Geborgenheit als Grund, spontane Freude an kleinen Dingen und eine große Einfachheit.“ Das ist ein Aphorismus von Phil Bosmans.

Ich konnte Themen nur anreißen, habe ein paar Gedanken von klugen Menschen kundgetan, ein paar Fragen zwischendurch gestellt. Bin ich weitergekommen? Vielleicht könnt ihr mir Tipps zum Thema geben.

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