Heute erzählt uns Lektor Jannis, was ihn an Christinas Roman so fesselt und warum er Die Roten Schuhe lektorieren wollte ...
Menschen, die mich das erste Mal besuchen, wundern sich stets über eine Sache: Während ich einen großen Fernseher habe, sieht man nur wenige Bücher in meiner Wohnung. Das hat mehrere Gründe, zum Beispiel ist ein Motto, das ich zu beherzigen versuche: Keep it simple! Nicht zu viele Dinge sammeln, nur das, was ich brauche, behalten, alles andere aussortieren. Ich liebe Bücher, klar, sonst hätte ich nicht einen Verlag mit meinen geliebten Genoss*innen gegründet. Doch an Büchern finde ich nicht das Buch an sich toll, sondern die Geschichten, die in ihm stecken. Ich sammle Geschichten, aber diese brauchen nur Platz in meinem Kopf, nicht in meiner Wohnung. Früher liebte ich Rafik Schami deswegen so, weil es in seinen Werken immer um Geschichtenerzähler und um das Geschichtenerzählen an sich ging.
Und dann bekam ich den Roman von Christina zu Lesen – und fand es wundervoll, dass eine der beiden Hauptfiguren ein Geschichtenerzähler ist. Und die andere Hauptfigur ist eine HSP – eine hochsensible Person, die Farben sieht. Da ich auch eine HSP bin und ebenso Farben sehe, hatte ich gleich zwei Dinge, die mich stark betrafen. Noah und Elisa sind zwei Figuren, die man schnell lieben, aber auch hassen lernt. Sie haben beide Marotten, ganz liebenswerte, aber auch ein paar hassenswerte. Ich spürte sofort, dass hinter diesen beiden Personen so viel mehr dahintersteckt, Christina Fuchs erzählt uns davon aber nur scheibchenweise. Ich empfinde es so, dass die Leser*innen nicht entweder pro Noah oder pro Elisa sein können, sondern ständig die Seiten gewechselt werden. Es entstehen Konflikte, während sie sich näher kennenlernen, und mal versteht man ihn besser, mal sie. Das gefällt mir ganz gut.
Auf den ersten Blick erscheint der Aspekt, dass man sich auf einer Reise selbst sucht, nachdem man sich verloren hat (Elisa), als Klischee, dann auch noch China, ein Ort, an dem man besonders gut unter der Masse der Menschen verschwinden kann. Auf den zweiten Blick erscheint dieser Aspekt aus Sicht Noahs auch merkwürdig: Nach der Reise möchte er einen Roman schreiben und in China erhofft er sich, genug Material dafür zu finden. Warum China? Möchte man fragen. Es sei so exotisch, sagt er. Wenn ich einen Ort bereisen wollte, um mich selbst zu finden, dann würde ich vielleicht Neuseeland auswählen, vielleicht auch Australien, oder eher noch Brasilien und Argentinien. Und wenn ich etwas zum Schreiben suchen würde, dann doch eher in den Staaten. Christina hatte andere Ideen. Und ich lese und lese und nach einer Weile verstehe ich, wieso sie dieses Land ausgesucht hat. Ein bisschen stehen Noah und Elisa und die drei wichtigen Nebenfiguren, die wir kennenlernen werden, in China stets auf einer Bühne, sie fallen immer auf, egal, was sie tun. Sie heben sich ab, man verwechselt sie nicht mit den Statist*innen, sie gehen nicht unter, sie verschwinden und verschwimmen nicht. Mit der Zeit fällt mir auf, wie klug die Wahl des Ortes tatsächlich ist.
Früher habe ich jedes Buch bis zum Ende gelesen, weil ich die ganze Geschichte kennen wollte. Irgendwann ließ ich es zu, Bücher einfach zuzuklappen, weil sie mich aus dem einen oder anderen Grund langweilten. Die roten Schuhe langweilten mich nicht: Nachdem ich die Leseprobe gelesen hatte, musste ich Christina anfragen, ob sie mir nicht bald den ganzen Roman schicken könne, so gespannt war ich zu erfahren, was denn dahinter steckt. Warum die roten Schuhe? Was hat es damit auf sich? Die Lektüre fesselte mich, ich wollte wissen, welche Geschichte Noah und Elisa miteinander erleben werden, wollte mit auf die Reise genommen werden.
Ich bin sehr froh, dass uns Christina ihre Geschichte angeboten hat, ich wusste sofort, dass der Roman zu astikos passt – und als wir vom Verlag das erste Mal mit ihr skypten, wussten wir auch, dass sie nicht nur wegen des schönen Romans zu uns passt, sondern auch weil sie so ist wie sie ist.